Rechtsanwalt Matthias Radu, Weilmünster-Wolfenhausen

Rechtsanwalt Matthias Radu, Weilmünster-Wolfenhausen

Diesen Schluss kann man ziehen, wenn es nach einem Urteil des Landgerichts Kempten geht. Denn das Sinnbild „LKW“ auf Verkehrsschildern soll auch für den Fahrer eines Omnibusses gelten – jedenfalls dann, wenn es um das Zeichen 266 StVO geht.

 

 

Der Fall:

In einer Kehre einer Bundesstraße in Süddeutschland kam es zu einem Zusammenstoß zwischen einem bergauf fahrenden Omnibus und einem bergab fahrenden PKW. Die Straße war mit einem Zeichen 266 StVO mit Längenangabe „12 Meter“ beschildert. Die Länge des Buses betrug 12,90 Meter. Aufgrund der Fahrzeuggeometrie überfuhr das Heck des Omnibusses im Kurvenbereich den Mittelstreifen.

Der PKW stieß gegen den beinahe zum Stillstand gekommenen Bus. Allerdings hätte der PKW-Fahrer den Bus – wie zwei vorausfahrende PKW auch – trotz des Überfahrens des Mittelstreifens mit ausreichendem Abstand sicher passieren können, hätte der Fahrer sich weit genug rechts auf seiner Fahrbahn befunden. Es kam zum Rechtsstreit über das Verschulden und die Haftung für die Unfallschäden.

 

Die Entscheidung:

Das Landgericht Kempten (Az. 21 O 1794/19) hat u.a. ein Sachverständigengutachten zum Unfallhergang eingeholt. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass der Unfall für den Fahrer des Omnibuses nicht zu vermeiden war. Der Bus fuhr nach den Feststellungen des Sachverständigen mit annähernd Schrittgeschwindigkeit durch die Kehre. Der Unfall hätte sich auch bei Stillstand des Buses ereignet. Dem Fahrer des Buses war ein Ausweichen nach rechts nicht mehr möglich, da der Bus bereits über die Fahrbahnbegrenzung hinausragte und eine Kolission mit dort befindlichen Hindernissen drohte. Der PKW hingegen befand sich in erheblichem Abstand zum (in Fahrtrichtung gesehen) rechten Fahrbahnrand. Der PKW-Fahrer hätte den Bus problemlos passieren können, wenn er weiter rechts gefahren wäre, was möglich gewesen wäre.

Gleichwohl hat das Gericht ein überwiegendes Mitverschulden am Unfallgeschehen bei dem Fahrer des Omnibuses gesehen. Denn dieser hätte die Strecke gar nicht befahren dürfen, weil diese mit dem Zeichen 266 in Verbindung mit der Längenangabe für alle Fahrzeuge mit einer Länge über 12 Meter gesperrt gewesen sei, so das Landgericht.

 

Kritik:

Das Urteil des Landgerichts ist nicht nachvollziehbar, soweit dieses unterstellt, Zeichen 266 gelte für sämtliche Kraftfahrzeuge, die der jeweiligen Längenbeschränkung unterfallen.

Die Rechtsansicht des Gerichts zur Bedeutung des Zeichens 266 StVO geht fehl. Richtig ist zwar, dass der Wortlaut von § 39 Abs. 7 StVO von “anderen Verkehrszeichen als den in den Anlagen 1 bis 3 zu den §§ 40 bis 42 dargestellten” spricht; dies erlaubt jedoch nicht den seitens des Gerichts gezogenen Rückschluss, wonach § 39 Abs. 7 StVO nach dem Wortlaut nicht auf Zeichen 266 anwendbar sei.

Eigentlich sollte Einvernehmen dahingehend bestehen, dass die Sinnbilder der StVO jeweils nur eine Bedeutung haben können, ansonsten entfiele der Sinn eines Sinnbildes. Dieses soll nämlich dem Verkehrsteilnehmer eindeutig und zweifelsfrei, auf den ersten Blick ermöglichen, den Geltungsbereich des jeweiligen Zeichens zu erkennen. Diesen Konsens hat das Landgericht Kempten leider aufgekündigt, mit schwerwiegenden Folgen für die Leichtigkeit und Sicherheit des (Rechts-)Verkehrs.

Verkehrszeichen sollen nämlich der sicheren, flüssigen Verkehrsführung dienen. Zulässig sind daher ausschließlich in der StVO vorgesehene oder vom Bundesverkehrsministerium im Verkehrsblatt zugelassene Verkehrszeichen und Sinnbilder (BGHSt 26, 34´8; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. § 2 StVO § 39 Rn. 31).

Die Definition des Sinnbildes “LKW” findet sich – neben § 39 Absatz 7 StVO – zuvörderst in Anl. 2 Nummer 30 zu Zeichen 253:

 „Ge- oder Verbot

Verbot für Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t, einschließlich ihrer Anhänger, und für Zugmaschinen. Ausgenommen sind Personenkraftwagen und Kraftomnibusse.“

Demgegenüber ist das nachfolgende Zeichen 266 lediglich ein Unterfall des Ge- oder Verbotes gemäß Zeichen 253. Der einzige Unterschied ist die Hinzufügung der Längenangabe, beispielsweise „<-10m->“.

Das Sinnbild ist identisch, so dass sich auch die Längenangabe nur auf die unter das Ge- oder Verbot nach Zeichen 253 fallenden Fahrzeuge beziehen kann.

Eine – eigenständige – Definition zu Zeichen 266, wie seitens des Gerichts unterstellt, enthält die StVO gerade nicht. Die StVO enthält zu Zeichen 266 lediglich die – klarstellende – Zusatzregelung, dass das Verbot bei Fahrzeugkombinationen für die Gesamtlänge gilt, und nicht etwa für jedes Einzelfahrzeug. Hintergrund dieser Klarstellung ist lediglich, dass bei der StVO-Novelle 2009 der bisherige Zusatz “Das Zeichen 266 gilt auch für Züge” – wohl versehentlich – entfiel. Dementsprechend hätte das Schild nicht mehr beispielsweise für einen Zug mit 12m Gesamtlänge, bestehend aus einem Zugfahrzeug (6m) und einem Anhänger (6m), gegolten. Dies hat der Verordnungsgeber nachgängig wieder klargestellt durch Hinzufügung des Passus “Das Verbot gilt bei Fahrzeugkombinationen für die Gesamtlänge”.

 

Dies spielt hier jedoch keine Rolle. Zeichen 266 ist entgegen der Ansicht des Gerichts keine Ge- oder Verbotsanordnung (nur) für Züge (um einen solchen handelte es sich bei dem Omnibus ohnedies nicht!). Vielmehr gilt Zeichen 266 nach der Systematik der StVO für alle Zeichen 253 unterfallende Fahrzeuge, deren Länge das auf dem Zeichen angegebene Maß erreicht oder überschreitet.

Dass das Sinnbild “LKW” im Gefüge der StVO einheitlich definiert ist, zeigt sich sodann bei Zeichen 273, ebenso bei den Zusatzzeichen 1010-51 und 1024-12. Die Definition lautet jeweils:

„Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t, einschließlich ihrer Anhänger, und für Zugmaschinen, ausgenommen Personenkraftwagen und Kraftomnibusse“ (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StVO, Anl. 2 lfd.Nr. 48 sowie VzKat, S. 1147 ff.).

Nach alledem wird deutlich, dass die Formulierung in § 39 Abs. 7 StVO nicht den Rückschluss erlaubt, den das Gericht ziehen will. Diese Regelung soll nur nochmals klarstellen, was die einzelnen Sinnbilder bedeuten und dass diese Bedeutung auch bei Verwendung auf Zusatzzeichen gilt. Hätte der Verordnungsgeber diese – scheinbare – Problematik erkannt, die die Formulierung bei oberflächlicher Betrachung nach sich zieht, hätte dieser den Zusatz „auch dort“ eingefügt. Dass bislang jedoch weder der Verordnungsgeber noch die Rechtsprechung in der Regelung ein Problem gesehen hat, zeigt sich einerseits an der fehlenden Regelung in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur StVO in Bezug auf Zeichen 266 (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., S.1119), andererseits an der fehlenden Kommentierung zu diesem Zeichen (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 41 Rn. 245r).

Dass Zeichen 266 nicht die Bedeutung haben kann, die das Gericht diesem beimessen möchte, zeigt sich sodann auch an Zeichen 1060-32. Dieses erstreckt nämlich erst den Geltungsbereich des mit Sinnbild “LKW” angeordneten Ge- oder Verbotes u.a. auf Kraftomnibusse.

Mehr als deutlich wird der Umstand, dass die Bedeutung, die das Gericht vom vorstehenden Sinnbild beimessen will, nicht zutreffend sein kann, an Zeichen 1049-13. Wenn nämlich Kraftomnibusse von dem Sinnbild “LKW” bereits umfasst wären, wäre das Zusatzzeichen schlichtweg unsinnig, was es nicht ist.

 

Die Bedeutung des Zeichens 266 wird also aus diesem selbst heraus bzw. den umstehenden Vorschriften zu ermitteln sein. Hier sei nochmals ausdrücklich auf das Zeichen 253 hingewiesen. Dieses Zeichen verwendet dasselbe Sinnbild und weist im Beschreibungstext ausdrücklich die Ausnahme für Omnibusse und Personenkraftwagen aus. Die zusätzliche Längenbeschränkung in Zeichen 266 kann sich daher denknotwendig und aus der Logik des Verordnungstextes heraus nur auf solche Fahrzeuge beziehen, die Zeichen 253 unterfallen. Für den Omnibus gilt dies explizit nicht!

Hätte der Verordnungsgeber ein generelles Längenverbot anordnen wollen (wie seitens des Gerichts ohne weitere Begründung unterstellt), wäre Zeichen 250 – Verbot für Fahrzeuge aller Art – als Basis zu verwenden und mit der Längenbeschränkung zu versehen gewesen. Dies genau hat der Verordnungsgeber bei den Zeichen 262, 263, 264 und 265 – also den unmittelbar vorangehenden Zeichen – auch getan. Dem Verordnungsgeber ist daher zu unterstellen, die Möglichkeit der Verwendung von Zeichen 250 in Kombination mit einer Längenbeschränkung gekannt zu haben. Gleichwohl hat der Verordnungsgeber in Kenntnis dieser Umstände Zeichen 253 als Basis genommen. Dies ist zu beachten.

Denn es kann schlicht und ergreifend nicht sein, dass ein Sinnbild – hier “LKW” – mehrere Bedeutungen bei der Verwendung auf unterschiedlichen Zeichen hat. In allen Fällen, in denen das Sinnbild Verwendung findet und das Zeichen im Verordnungstext mit einer Beschreibung versehen ist, findet sich indes die Ausnahme für Omnibusse und Personenwagen. Dies und nichts anderes ist vorliegend für die Bestimmung der Bedeutung des Zeichens maßgebend.

 

Auch ein Blick in die Genese der StVO widerlegt die Rechtsansicht des Gerichts.

In der insofern maßgeblichen Fassung der StVO von 1970 war der jetzige Absatz 7 des § 39 noch der Absatz 3. Dort war geregelt:

Werden Sinnbilder auf anderen Verkehrsschildern als den in den §§ 40 bis 42 dargestellten gezeigt, so bedeuten die Sinnbilder in den Zeichen

251      “Personenkraftwagen”

253      “Lastkraftwagen”

237      “Radfahrer”

134      “Fußgänger”

239      “Reiter”

140      “Treiber und Führer von Großtieren”

 

Der Satz in seiner urspünglichen Fassung bedeutete daher, dass die Definition der dort aufgezählten Sinnbilder in bestimmten Zeichen (251, 253, 237, 134, 239, 140) erfolgt und diese Definition auch gilt, wenn die Sinnbilder auf anderen Verkehrsschildern als den in den §§ 40 bis 42 dargestellten gezeigt werden.

Es wird somit ersichtlich, dass die Definition der Sinnbilder in der StVO einheitlich erfolgt und gerade nicht abhängig von der jeweiligen Verwendung (es gibt also keinen besonderen Sinn eines Sinnbildes bei Verwendung auf “anderen” Verkehrszeichen) ist. Die Definition des Sinnbildes “LKW” in der 1970 gültigen Fassung der StVO wird bezogen auf das Verkehrszeichen 253. Dieses hat in der heute geltenden Fassung folgende Bedeutung:

Ge- oder Verbot

Verbot für Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t, einschließlich ihrer Anhänger, und für Zugmaschinen. Ausgenommen sind Personenkraftwagen und Kraftomnibusse.
Erläuterung
Das Zeichen kann in einer Überleitungstafel oder in einer Verschwenkungstafel oder in einer Fahrstreifentafel integriert sein. Dann bezieht sich das Verbot nur auf den jeweiligen Fahrstreifen, für den das Verbot angeordnet ist.“

 

Damit steht fest, dass der heutige Wortlaut der Vorschrift die ursprüngliche Formulierung verkürzt und sinnentstellend widergibt. Gerade deshalb hat eine Auslegung jedoch nicht an dem Wortlaut zu haften, sondern auch die Motive des Verordnungsgebers und die Genese einer Vorschrift zu berücksichtigen. Dies hat das Landgericht nicht beachtet.

Die Definition der jeweiligen Sinnbilder erfolgt im historischen Gefüge der StVO mithin in einzelnen, ausgewählten „Leitkennzeichen“ selbst. Die jeweiligen Zusatzzeichen stellen nur Ableitungen davon dar. Maßgeblich ist das jeweilige Kennzeichen, hier Zeichen 253, für die Bedeutung einzelner Sinnbilder. Diese haben sodann auch nur eine einheitliche Bedeutung, gleich auf oder unter welchem Verkehrszeichen das Sinnbild verwendet wird.

Anders ist es gerade im Falle von Sinnbildern auf Verkehrszeichen oder Zusatzzeichen auch gar nicht denkbar, denn die Sinnbilder dienen ja gerade der schnellen Orientierung des Kraftfahrers. Müsste dieser stattdessen vorher in die StVO oder gar eine Kommentierung hierzu (wenn es denn eine gibt) schauen, um die jeweilige Bedeutung des Zeichens zu erfassen, wäre der Sinn eines Sinnbildes komplett aufgehoben.

Dies wird auch in der weiteren Genese der StVO deutlich. Mit der Änderungsverordnung vom 19. März 1992 wurde der § 39 Absatz 3 neu gefasst. Dieser galt seither für Kraftfahrzeuge über 2,8t. Entsprechend wurde auch Zeichen 253 neu definiert. Ab diesem Datum galt Zeichen 253 nicht mehr für Kraftomnibusse und Personenkraftwagen. Dies muss denknotwendig seither auch für Zeichen 266 gelten.

 

Nach alledem dürfte hinreichend feststehen, dass mit Zeichen 266 StVO betreffend des Omnibusses kein Ge- oder Verbot ausgesprochen wurde. Der Fahrer des Omnibusses durfte die Straße mithin befahren.

Leider hat das Oberlandesgericht München nicht die Gelegenheit genutzt, eine Korrektur des landgerichtlichen Urteils vorzunehmen und für Rechtsklarheit in diesem bislang unkommentierten Bereich zu sorgen. Stattdessen hat dieses einen Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erlassen und dem klägerischen Busunternehmen eine Rücknahme der Berufung aus Kostengründen nahegelegt. Dem ist das Busunternehmen – im Hinblick auf die Corona-bedingt angespannte Finanzlage verständlich – nachgekommen. Leider wurde hierdurch jedoch eine angemessene Auseinandersetzung mit der rechtlichen Problematik um Zeichen 266 StVO, insbesondere eine höchstrichterliche Entscheidung, verunmöglicht. Wie kritisch diese sich darstellt, zeigt sich zum einen an der bis dato fehlenden Kommentierung, zum anderen an der seitens des Landgerichts herangezogenen „Sekundärrechtsquelle“: die Lernmaterialien von Fahrschulen. Spricht man einen Fahrlehrer darauf an, weshalb Zeichen 266 für Omnibusse gelten soll, verweist dieser ebenso auf den Inhalt der Lernmaterialien. Die Rechtssetzung erfolgt somit faktisch nicht mehr durch den demokratisch legitimierten Verordnungsgeber, sondern einen Verlag für Fahrschulliteratur!

 

Leider hat sich das Oberlandesgericht München dazu entschlossen, den Tenor des Hinweisbeschlusses zu veröffentlichen, ohne Hinweis darauf, dass die Berufung rein aus finanziellen Erwägungen zurückgenommen wurde, über die Rechtsfrage der Reichweite von Zeichen 266 StVO also gerade keine obergerichtliche Entscheidung getroffen werden konnte. Es wird also abzuwarten sein, bis neuerlich die Gelegenheit zu einer höchstrichterlichen Klärung erfolgt.   

Kontakt

 

Gesetzliche Informationen: Impressum Datenschutzerklärung Haftungsausschluss

Copyright 2021: Matthias Radu und GO.MEDIA KG, Weilmünster Konzeption und Webdesign mit Joomla!CMS: Izbuc 37 Consulting S.R.L.