Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet.
(OLG Naumburg, Beschluss vom 13.06.2017, 2 Ws 132/17)
Für den Betroffenen ist die Verhängung eines Fahrverbotes nicht selten eine wesentlich einschneidendere Sanktion als das Bußgeld. Hiergegen wendet sich der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid oftmals in erster Linie. Wenn die Einwendungen gegen die Messung etc. nicht zum Erfolg führen und von einem Fahrverbot auch nicht bei gleichzeitiger Anhebung des Bußgeldes abgesehen werden soll, bleibt dem Betroffenen oft nur die Hoffnung, dass eine (über)lange Verfahrensdauer gegen die Verhängung eines Fahrverbotes sprechen kann. Hierzu hat jüngst ein Oberlandesgericht Leitlinien für die Beurteilung veröffentlicht.
Sachverhalt
Das OLG Naumburg hatte als Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen, ob das Tatgericht in zutreffender Weise mit der langen Verfahrensdauer und ihrer Auswirkung auf der Rechtsfolgenseite umgegangen ist. Das Amtsgericht hatte gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der durch Verkehrszeichen angeordneten Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 160,00 € verhängt, weiterhin ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat. Dagegen richtete sich die unbeschränkt eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügte.
Die aktuelle Entscheidung
Das OLG Naumburg hat das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Der Rechtsfolgenausspruch halte einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar unterliege die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter habe und dem gemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden könne, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter, dessen Entscheidung vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel „bis zur Grenze des vertretbaren“ hinzunehmen sei. Das Amtsgericht habe sich hier aber nicht in gebotener Weise mit der Frage befasst, ob vorliegend aufgrund des langen Zeitablaufes seit Begehung der Tat (hier: 14.11.2014, Entscheidung des Amtsgerichts 13.03.2017) der spezialpräventive Zweck der Maßnahme bereits durch die lange Zeit des Schwebezustandes und für den Betroffenen damit verbundene Ungewissheit über das Fahrverbot erreicht und die Verhängung eines Fahrverbotes deshalb nicht mehr geboten sei.
Das Fahrverbot könne deshalb seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliege, die für die lange Verkehrsdauer maßgeblichen Umstände auch außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden sei. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sei die Tendenz erkennbar, den Sinn eines Fahrverbotes in Frage zu stellen, wenn die zu ahnende Tat mehr als zwei Jahre zurückliege.
Wichtig zu wissen!
Primär geht es vorliegend um die Frage, welchen Einfluss der Zeitablauf zwischen Tat und tatrichterlicher Entscheidung auf die Rechtsfolgenentscheidung, insbesondere die Anordnung des Fahrverbots hat. In zutreffender Weise wird konstatiert, dass die Entscheidung hierüber vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel „bis zur Grenze des vertretbaren“ hinzunehmen ist (OLG Hamm, Beschl. v. 26.10.1995 - 2 Ss OWi 1222/95 - DAR 1996, 68). Hier hatte das Amtsgericht zunächst ein Regelfahrverbot bejaht. Hiernach wird die Denkzettelfunktion des Fahrverbots ins Spiel gebracht (BVerfG, Beschl. v. 16.07.1969 - 2 BvL 11/69 - BVerfGE 27, 36) und die Voraussetzungen für die fehlende Erforderlichkeit des Fahrverbots benannt (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.06.2007 - 1 Ss 44/07 – NStZRR 2007, 323; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 31.03.2014 - Ss (B) 18/2014 (15/14 OWi)). Die Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren bis zur tatrichterlichen Entscheidung wäre hier erfüllt. Dieser Zeitablauf lag auch nicht vornehmlich im Verantwortungsbereich des Betroffenen. Allerdings hatte dieser inzwischen auch einen weiteren Verkehrsverstoß begangen.
Im Bereich des Fahrverbots erfolgt oft leider keine dogmatisch einheitliche Rechtsanwendung, sondern mitunter werden Begriffe und Kategorien durcheinandergewürfelt. Deshalb vorab: Wenn der Tatrichter der Ansicht ist, dass das Fahrverbot wegen langer Verfahrensdauer nicht mehr erforderlich ist, dann führt dies zu einem Wegfall des Fahrverbots. Es ist dann denknotwendig kein Raum mehr für die Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV, sodass das Urteil in einem solchen Fall auch nicht auf dem Rechtsfehler beruhen könnte, dass der Tatrichter sich angeblich nicht der Möglichkeit bewusst gewesen sei, dass er diesen Aspekt hätte prüfen müssen (OLG Hamm, Beschl. v. 09.02.2009 - 4 Ss OWi 6/09). Dem wäre dann nämlich nicht so. Wenn aber wie hier kein Wegfall trotz langer Verfahrensdauer, sondern das Regelfahrverbot bejaht wird, was im Rahmen der Ermessensausübung des Tatrichters mit entsprechender Begründung zulässig wäre, dann wäre jedenfalls zu prüfen, ob der Tatrichter in einer weiteren Ermessensentscheidung nach § 4 Abs. 4 BKatV von der Anordnung des Fahrverbots absehen kann. Ist dies nicht erfolgt, kann dies allenfalls damit begründet werden, dass ein besonders schwerer Verstoß vorlag. Hiervon war aber (auch) nicht die Rede, sodass die Aufhebung schon aufgrund der Sachrüge völlig zutreffend war.
Über eines sollte sich der Betroffene jedoch im Klaren sein: liegt die lange Verfahrensdauer innerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen begründet, kann sich dieser auf den Zeitablauf nicht berufen. Der Betroffene ist daher gut beraten, verfahrensverzögernde Mittel jedenfalls nicht offensichtlich einzusetzen.