Rechtsanwalt Matthias Radu, Weilmünster-Wolfenhausen

Rechtsanwalt Matthias Radu, Weilmünster-Wolfenhausen

Das Verschlechterungsverbot gilt im erstinstanzlichen gerichtlichen Bußgeldverfahren kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung nur bei einer Entscheidung durch Beschluss im schriftlichen Verfahren (§ 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG), nicht aber bei einer Entscheidung durch Urteil nach Durchführung einer Hauptverhandlung. Daher entfällt in dem Urteil die viermonatige Schonfrist (§ 25 Abs. 2a StVG), wenn nach Erlass des Bußgeldbescheids, in dem diese Vergünstigung noch gewährt wurde, ein Fahrverbot in anderer Sache als Vorbelastung hinzugetreten ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.10.2018, IV-2 RBs 195/18).

 

Sachverhalt

Das OLG Düsseldorf musste als Rechtsbeschwerdegericht  prüfen, ob das Tatgericht mit dem Wegfall der Schonfrist gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen hat.

 

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Abweichend von dem Bußgeldbescheid vom 03.07.2017 hat das Amtsgericht dem Betroffenen keine viermonatige Schonfrist gewährt. Hiergegen richtet sich dessen auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde, mit der in der Sache allein die Nichtgewährung der viermonatigen Schonfrist angegriffen worden ist. Das OLG Düsseldorf hat die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen. Die Rechtsbeschwerde konnte in zulässiger Weise dahin beschränkt werden, dass allein die Nichtgewährung der viermonatigen Schonfrist (§ 25 Abs. 2a StVG) Gegenstand der Anfechtung ist.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2a StVG zum maßgeblichen Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr vorlagen. Denn durch den Bußgeldbescheid vom 30.05.2017, rechtskräftig seit dem 11.01.2018, war gegen den Betroffenen neben einer Geldbuße von 160 Euro ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden. Dieser Umstand konnte in dem Bußgeldbescheid vom 03.07.2017 noch nicht berücksichtigt werden. Hingegen musste die Vergünstigung des § 25 Abs. 2a StVG in dem angefochtenen Urteil wegen des inzwischen hinzugetretenen Fahrverbots entfallen.

Dem stand das Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) nicht entgegen. Denn das Verschlechterungsverbot gilt im erstinstanzlichen gerichtlichen Bußgeldverfahren kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung nur bei einer Entscheidung durch Beschluss im schriftlichen Verfahren (§ 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG), nicht aber bei einer Entscheidung durch Urteil nach Durchführung einer Hauptverhandlung. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ist kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf eigener Art, und eröffnet dem Gericht die Gelegenheit, die Tat ohne Bindung an die in dem Bußgeldbescheid getroffenen Feststellungen und deren Bewertung durch die Bußgeldbehörde zu beurteilen. Durch den Einspruch verliert der Bußgeldbescheid seine Bedeutung einer vorläufigen Entscheidung und behält nur noch die Bedeutung einer tatsächlich und rechtlich näher bezeichneten Beschuldigung. Aus diesem Wesen des Bußgeldbescheides und des Einspruchs folgt, dass das Verschlechterungsverbot nach einem Einspruch nicht gilt. Das gerichtliche Bußgeldverfahren kann nach § 81 OWiG sogar in ein Strafverfahren übergeleitet werden.

Das OLG Düsseldorf weist zunächst darauf hin, dass die Rechtsbeschwerde auf die Frage der Gewährung der Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG beschränkt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.1998 - 2 Ss (OWi) 206/98 - (OWi) 59/98 III - NZV 1999, 50; Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 79 Rn. 9). Hierzu ergänzend: Eine Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Gewährung der Viermonatsfrist nach Abs. 2a ist nicht nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG zulässig, weil es sich dabei nicht um die Anordnung einer Nebenfolge nichtvermögensrechtlicher Art handelt (BeckOK Straßenverkehrsrecht, § 25 StVG Rn. 160). Sie ist auch dann nicht nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthaft, wenn bereits im Bußgeldbescheid eine Viermonatsfrist zugebilligt wurde (OLG Celle, Beschl. v. 20.10.2015 - 2 Ss (OWi) 308/15 - ZfSch 2016, 530).

Eine Rechtsbeschwerde des Betroffenen kann jedoch bei unterlassener Schonfristgewährung beschränkt auf diesen Aspekt eingelegt werden (OLG Jena, Beschl. v. 19.12.2005 - 1 Ss 331/05).

Hiernach steht das Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) im Zentrum der Entscheidung. Verwiesen wird auf das einzig bestehende Verbot in § 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG, wohingegen schon in § 66 OWiG klargestellt ist, dass nach Einspruch sich die Entscheidung auch verschlechtern kann, wenn durch Urteil entschieden wird (OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.02.2017 - (1 B) 53 Ss-OWi 56/17 (34/17); Ellbogen in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 67 Rn. 5; Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, vor § 67 Rn. 5 u. § 71 Rn. 4). Der Rückschluss auf den Einspruch als Rechtsbehelf eigener Art ist dabei denknotwendig, da ja das Gericht ohne Bindung an die in dem Bußgeldbescheid getroffenen Feststellungen und deren Bewertung entscheiden darf. Der Bußgeldbescheid enthält für das Gericht dann nur noch eine tatsächlich und rechtlich näher bezeichnete Beschuldigung (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.08.1999 - 5 Ss (OWi) 339/98 - (OWi) 156/98 I - NStZ 2000, 42, 43).

 

Praxisrelevanz

Die Entscheidung ist höchst lehrreich. Zum einen zeigt sie auf, wie wichtig es für alle Beteiligten ist, im Zeitpunkt der Entscheidung einen aktuellen Auszug aus dem Fahrerlaubnisregister zu kennen. Ob dieser dann in der konkreten Situation auch in die Hauptverhandlung eingeführt wird, ist eine prozesstaktische Frage für den Verteidiger. Zum anderen darf man bei der vorliegenden Konstellation nicht dem Denkfehler unterliegen, auf das Datum der Bußgeldbescheide zu sehen, sondern darf sich nur nach der Rechtskraft richten: Die in § 25 Abs. 2a StVG genannte Frist von zwei Jahren rechnet ab dem Zeitpunkt, in dem das frühere Fahrverbot rechtskräftig geworden ist, auf den Zeitpunkt der Entscheidung kommt es nicht an (BGH, Beschl. v. 29.06.2000 - 4 StR 40/00 - NZV 2000, 420). Nachdem das Gericht unabhängig von der Bußgeldbehörde entscheidet, kann es auch nur auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Voreintragung ankommen.

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