Rechtsanwalt Matthias Radu, Weilmünster-Wolfenhausen

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Auch bei sog. „Kurzkennzeichen" ist der Versicherer gegenüber Dritten ebenfalls der Nachhaftung nach § 117 VVG unterworfen (OLG Frankfurt, Urteil vom 26.09.2018, 13 U 43/17)

 

Sachverhalt

Die Beklagte hatte Versicherungsschutz für ein Fahrzeug mit Kurzzeitkennzeichen gewährt. Sie

wurde von dem Kläger wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch genommen, der sich am Tag

nach dem Ablaufdatum des Kennzeichens ereignet hat. Das OLG Frankfurt hatte sich insoweit

mit der Frage einer Nachhaftung der Beklagten nach § 117 VVG zu befassen.

 

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

Die Parteien streiten über die Nachhaftung gemäß § 117 VVG bei einem sogenannten Kurzzeitkennzeichen. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich am 15.06. ereignete. Der Unfallverursacher hatte für sein Fahrzeug mit Kurzzeitkennzeichen bei der Beklagten Versicherungsschutz für den Zeitraum vom 10. bis 14.06. Gegenüber dem Geschädigten verweigerte die Beklagte die Regulierung des Schadens, weil der Schaden nach Ablauf des 14.06. entstanden war. Daraufhin hat sich der Geschädigte an den Kläger gewandt. Dessen Regulierungshelfer, die X-Versicherung, hat den Schaden bezahlt und dem Kläger neben der Schadenssumme eine Regulierungsgebühr in Rechnung gestellt. Nachdem die Beklagte eine Regulierung auch gegenüber dem Kläger verweigert hat, hat dieser seine Forderung mit der Klage erfolgreich geltend gemacht. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Der Kläger hält die Beklagte für eintrittspflichtig und beruft sich auf den Wortlaut des § 117 VVG sowie auf eine Entscheidung des LG Darmstadt, in welcher ebenfalls auf den Wortlaut der Vorschrift abgestellt worden war. Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei nicht einstandspflichtig, weil eine Nachhaftung von einem Monat bedeuten würde, dass der Versicherungsvertrag nur für fünf Tage abgeschlossen werde, die Versicherung aber insgesamt einen Monat und fünf Tage hafte. Es bestehe zudem kein Rechtsschein für das Bestehen von Versicherungsschutz für den Geschädigten, da auf dem Kfz-Kennzeichen die Dauer des Versicherungsschutzes und der Zulassung aufgedruckt sei. Außerdem komme eine Nachhaftung nach § 117 Abs. 2 Satz 5 VVG nicht in Betracht, wenn es keine Stelle gebe, welche zur Entgegennahme einer Mitteilung über das Nichtbestehen oder die Beendigung des Versicherungsverhältnisses bestimmt sei. Bei Kurzkennzeichen sei dies der Fall, weil bei diesen keine Mitteilung gemäß § 25 Abs. 5 FZV erforderlich sei.

Die Beklagte verweist auf die bisher nicht veröffentlichten Entscheidungen des LG Nürnberg-Fürth vom 09.09.2011, des AG Jülich vom 20.12.2013; letztere Entscheidung bestätigt vom LG Aachen mit Hinweisbeschluss vom 10.03.2014 (ebenfalls bisher unveröffentlicht). Das Landgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil stattgegeben, weil sich aus § 25 FZV nicht ergebe, dass es keine zuständige Stelle für die Mitteilung des Erlöschens des Versicherungsschutzes gebe. Vielmehr würden der Zulassungsstelle bei der Bekanntgabe der Deckung gleichzeitig auch die Angaben über das Ende der Versicherungsdauer mitgeteilt. Einziger Unterschied bei Kurzkennzeichen sei, dass die Zulassungsstelle nicht tätig werden und keine Stilllegung durchführen müsse. Die Rechtsscheinsargumentation überzeuge nicht. Nur bei Fällen, in denen der Vertrag nicht zustande gekommen ist, bedürfe es eines Rechtsscheins. Nicht dagegen in Fällen, in denen ein Vertrag rechtswirksam zustande gekommen war und beendet ist. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ergänzend vorträgt, dass die angefochtene Entscheidung auch gegen die Richtlinie 2009/103/EG verstoße. Nach Art. 10 Abs. 1 der VO müsse jedes Mitgliedsland eine Stelle einrichten, die für Schäden Ersatz leisten müsse, welche durch nicht versicherte Fahrzeuge verursacht worden seien. Dies sei in Deutschland der Kläger. Die rechtsfehlerhafte Auslegung des § 117 VVG führe dazu, dass der deutsche Versicherer anstelle des Klägers hafte, was zu einer Ungleichbehandlung führe.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Beklagte für den streitgegenständlichen Schaden haftet. Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen: Soweit die Beklagte geltend macht, es sei unangemessen, für eine nur auf fünf Tage abgeschlossene Versicherung dem Versicherer eine Nachhaftung von einem Monat aufzubürden und dies finanziell nicht tragbar sei, lässt sie unberücksichtigt, dass es dem Versicherer obliegt, bei den Tarifen für die Kurzkennzeichen die Nachhaftung mit einzukalkulieren. Nicht überzeugend ist auch die Ansicht, für den Geschädigten bestehe aufgrund des Aufdrucks auf dem Kennzeichen kein Rechtsschein für eine bestehende Versicherung. Hierbei wird verkannt, dass die Frage des Rechtscheins nur jene Fälle betrifft, in denen ein Versicherungsverhältnis – beispielsweise wegen Anfechtung oder Widerruf – gerade nicht existent war. In diesem Fall würde ein Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen und es bestehe aufgrund des Kennzeichens der Rechtsschein, dass ein Versicherungsvertrag tatsächlich besteht. Dies betrifft aber nicht die vorliegende Fallgestaltung bei Kurzkennzeichen. Bei dem streitbefangenen Fahrzeug war ein Versicherungsvertrag wirksam zustande gekommen; das Versicherungsverhältnis war nur einen Tag vor dem Unfall ausgelaufen. Es stellt sich somit nicht die Frage eines Rechtsscheins, sondern es geht um die vom Gesetz bestimmte Nachhaftung nach Ablauf eines wirksam geschlossenen Versicherungsvertrages. Der Hinweis der Beklagten in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des BGH (Urt. v. 01.12.1960 - II ZR 158/58 verfängt nicht. Dort hatte die Versicherung dem Straßenverkehrsamt bereits mitgeteilt, dass keine Haftpflichtversicherung besteht und das amtliche Kennzeichen zu entstempeln sei, was einige Tage vor dem Unfall auch erfolgt war. Der BGH hat dazu ausgeführt, es gelte eine starre Monatsfrist und die Vorschrift diene ausschließlich der Sicherung der Schadenersatzansprüche der durch den Haftpflichtversicherten geschädigten Dritten. Die Befristung sei ein sachgerechter Ausgleich zwischen dem Interesse des geschädigten Dritten und dem Haftpflichtversicherer. Nach der von der Beklagten vertretenen Rechtsansicht bezüglich des Rechtscheins hätte der BGH eine Nachhaftung ablehnen müssen, weil das Kennzeichen entstempelt worden war, also auch „sichtbar" war, dass keine Zulassung und damit keine Versicherung mehr bestand. Die Entscheidung des BGH spricht daher gerade gegen die Ansicht der Beklagten. Die von der Beklagten vorgelegten und bisher nicht veröffentlichen Entscheidungen des LG Nürnberg-Fürth, AG Jülich und LG Aachen, welche die Rechtsansicht der Beklagten stützen, vermögen den Senat aufgrund der vorgenannten Ausführungen nicht zu überzeugen. Bezüglich des neuen Arguments der Beklagten, die Nachhaftung bei Kurzkennzeichen verstoße gegen die Richtlinie 2009/103/EG ist festzustellen, dass mit der Richtlinie eine Regelung getroffen werden soll bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen, die ohne amtliches Kennzeichen am Straßenverkehr teilnehmen oder mit einem amtlichen Kennzeichen, das dem Fahrzeug nicht oder nicht mehr zugeordnet ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Kennzeichen konnte hier eindeutig dem Versicherungsnehmer der Beklagten zugeordnet werden.

 

Praxisbezug

Bei der Vergabe von Kurzzeitkennzeichen für Kraftfahrzeuge handelt es sich um eine Ausnahme von der Zulassungspflicht. Am rechten Rand des Kennzeichens ist das Ablaufdatum vermerkt (fünf Tage ab Zuteilung). Obwohl das Ablaufdatum konkret erkennbar ist, besteht bei einem Schadensfall nach Ablauf des Kennzeichens für den Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer gegenüber Dritten ebenfalls eine Nachhaftung gemäß § 117 VVG.

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